from_a_distance_2022

Aus der Distanz / from a distance 2022

Video-Projektion am Kopfbau erinnert an Bombardement des Flughafens

Am 9. April 1945 bombardierten alliierte Streitkräfte den Flughafen München-Riem. Dabei kamen auf tragische Weise auch viele KZ-Häftlinge um, die dort zur Zwangsarbeit eingesetzt waren. Während die SS-Mannschaften sich in Schutzräume flüchteten, wurden die Zwangsarbeiter ins Freie geschickt. Auch 2022 ist dort eine Video-Projektion zu sehen, die daran erinnert.

Am 77. Jahrestag erinnere ich mit der Projektion „Aus der Distanz / from a distance“ an das Geschehen und den dunklen Teil der Geschichte des Flughafens, der in der NS-Zeit gebaut wurde. Zur zeitlichen Distanz kommt mit dem Aufklärungsfoto der US Air Force der räumliche Abstand aus großer Höhe; es hält den Moment fest, als der Flughafen buchstäblich in die Luft flog. Das Bild wird visuell überlagert von einem sich lüftenden Schleier, der partiell den Blick freigibt auf das, was hier geschah.

9. April 2022 ab 20 Uhr am Kopfbau, Werner-Eckert-Str. 1, 81829 München

Diese Häftlinge mussten am Flughafen unter unmenschlichsten Bedingungen in Schwerstarbeit Bombenkrater wieder auffüllen oder Blindgänger räumen. Sie wurden dabei vollkommen unzureichend ernährt und litten demzufolge großen Hunger. Luftangriffe waren eine der wenigen Gelegenheiten, auf den Feldern z. B. einige Kartoffelreste aufzuklauben, was bei Androhung der Todesstrafe verboten war. So wurden z. B. etliche russische Gefangene erschossen, nachdem sie von benachbarten Einwohnern angezeigt wurden, als sie bei Bauern in der Umgebung nach Essen gebettelt hatten. Auch zu spätes Zurückkommen nach einem Luftangriff konnte als „Fluchtversuch“ von der SS mit dem Tode bestraft werden.

Weitere Informationen:

https://www.kopfbaut.de/from-a-distance/

https://www.kopfbaut.de/war-hier-was/

Plakat From a DistanceDas dunkle Kapitel: 2. Weltkrieg

Der Flughafen München-Riem war während des Zweiten Weltkrieges strategisches Ziel alliierter Luftangriffe. Mehrfach wurden Rollbahnen und Werkstätten zerstört. Um den Flugverkehr aufrecht zu erhalten, mussten Aufräum- und Ausbesserungsarbeiten verrichtet, Bombenkrater eingeebnet und eine neue Start- und Landebahn gebaut werden. Diese Arbeiten standen unter der Aufsicht der Organisation Todt (OT) und wurden von Häftlingen des KZ Dachau geleistet. Im Februar 1943 kamen die ersten 600 Häftlinge aus dem KZ Dachau nach München-Riem. Etwa 2 km vom Flugplatz entfernt wurde ein Außenlager in den Pferdeställen der SS-Reitschule eingerichtet. Die Stallungen waren mit Stacheldraht umzäunt und von Posten bewacht.

Die Zahl der Häftlinge schwankte stark. Ende 1944 waren es nur mehr 300 Häftlinge und für die Jahreswende 1944/45 gab ein Überlebender die Zahl mit 100 an. Sicher ist, dass Ende März, Anfang April 1945 nach den Evakuierungen von Außenlagern des KZ Natzweiler, Neckarrelz, Neckargerach und Moosbach mehrere hundert Häftlinge in das Außenlager München-Riem überstellt wurden. Am 26. April 1945 befanden sich dort 1543 Häftlinge. Damit gehörte es neben dem Außenlager München-Allach zu den größten KZ-Außenlagern in München. Mit dem drastischen Anstieg der Häftlingszahl verschlechterten sich die Lebensbedingungen in der ehemaligen Reitschule sehr. Im Außenlager München-Riem befanden sich vor allem Häftlinge aus Russland, Polen, Frankreich, Italien und dem Deutschen Reich. Unter ihnen waren auch etwa 200 Sinti und Roma und eine unbestimmte Zahl von Juden.

Ehemalige Häftlinge beschrieben die Verpflegung durch eine Lagerküche innerhalb der Stacheldrahtumzäunung als sehr unzureichend. Morgens erhielten sie nur dünnen Kaffee, mittags wässrige Kohl- oder Kartoffelsuppe und abends wieder Kaffee und ein Stück Brot. Viele Häftlinge waren unterernährt und von den schweren Erdarbeiten geschwächt. Wer krank oder arbeitsunfähig war, wurde in das KZ Dachau zurückgebracht. Wer auf dem Weg zur Arbeit zusammenbrach, wurde von den Bewachern unerbittlich mit Schlägen angetrieben. Ein Krankenrevier existierte nicht.

Bei Fliegeralarm brachte sich die SS-Lagermannschaft in Schutzräumen in Sicherheit; für die Häftlinge wurden keine Maßnahmen getroffen. Stattdessen wurde das Lagertor geöffnet und den Häftlingen befohlen, sich in der Umgebung zu verstecken. Wer nicht sofort nach Ende der Luftangriffe wieder im Lager erschien, wurde gesucht und erschossen.  Die Häftlinge nutzten die Gelegenheit, das Lager zu verlassen, um auf den umliegenden Feldern nach Kartoffeln zu suchen oder bei Bauern Essen zu organisieren. Fanden die Wachmänner bei den Rückkehrern Lebensmittel, wurden die Verdächtigen ohne Umschweife wegen Plünderung erschossen. Mehrfach kamen Zivilisten nach Luftangriffen in das Lager, um bei der Lagerführung Lebensmitteldiebstähle oder Betteln anzuzeigen. In diesen Fällen wurden die Verdächtigen meist sofort auf dem Appellplatz erschossen. Im Februar oder März 1945 wurden so 20 russische Häftlinge durch Genickschuss ermordet. Trotz der drakonischen Strafen gab es Fluchtversuche. Die Mehrzahl von ihnen endete mit der Erschießung der Geflohenen.

Größte Gefahr und häufigste Todesursache waren die alliierten Luftangriffe. Bei der Bombardierung am 9. April 1945 wurden mindestens 41 Gefangene getötet und weitere 40 verwundet. Ein ehemaliger Häftling berichtete, dass nach den Luftangriffen Verwundete von den SS-Mannschaften erschossen wurden.

Quelle: Sabine Schalm, München-Riem (OT-Lager), in: Wolfgang Benz/Barbara Distel (Hrsg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band II: Frühe Lager, Dachau, Emslandlager. München 2005, S. 442-445. Erschienen ist der Band beim C. H. Beck Verlag in München.